„Raus aus der Abhängigkeit der Sozialhilfe & Wohlfahrt mit Grundeinkommen und Micro Entrepreneurship“ ist sicherlich eine provokante Skizze, die von vielen Profis und Betroffenen kritisch betrachtet würde. Denn, wie „soll“ es denn gehen, dass psychisch erkrankte Menschen, die schon nicht mehr auf dem ersten Arbeitsmarkt tätig sind, sich nun auch noch selbständig machen?

Dennoch wage ich es hier, einige grundlegende Überlegungen zu dieser These anzustellen. Es ist dabei nicht mein Ziel, die grundlegende Verpflichtung der staatlichen Sicherung, im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft, in Frage zu stellen. Aber im Rahmen der digitalen Revolution, stellt sich die Frage nach zukünftiger Erwerbstätigkeit sowieso neu. Und wir werden dafür Antworten finden müssen, gerade auch bei einer zunehmenden Anzahl von Menschen, die im derzeitigen System psychisch erkranken. Aus meiner Sicht ist da das Thema New Work ein zentraler Ansatz, nebst eines bedingungslosen Grundeinkommens, Selbstversorgung und einer selbstbestimmten und selbstgewählten Arbeit.

Entrepreneurship, Solo-Entrepreneuer und Micro-Entrepreneurship sind feine Begriffe. Ich versuche heute in diesem Beitrag die Nützlichkeit dieser Begriffe und ihrer Konzepte für die Unterstützung erwerbsloser psychisch erkrankter Menschen zu ergründen. Ich denke also laut, ohne zu erwarten, dass die richtige Lösung dabei heraus kommt. Aber vielleicht entsteht dadurch ein Denkpfad in eine andere Möglichkeit…

Entrepreneur kommt aus dem französischen und bedeutet „unternehmen“. Da gäbe es also die Unternehmung, den Solo-Unternehmer und das Micro-Unternehmen.

Im deutschsprachigen Raum hat sich Prof. Günther Faltin mit diesem Thema eingehend beschäftigt, geforscht, publiziert und mit der Tee-Kampagne praktiziert. In seinem Buch „Wir sind das Kapital“, zeigt er Wege auf, wie nahezu jeder mit Hilfe von einzelnen Komponenten eine Unternehmung aufbauen kann, wenn er sich damit ausreichend beschäftigt und kreativ gestalten möchte.

Der Mitbegründer des Fritz Perle Institutes und Entwickler der Integrativen Therapie, Prof. Hilario Petzhold, schrieb zusammen mit Prof. Peter Hartz ein bisher wenig beachtetes Buch mit dem Titel „Wege aus der Arbeitslosigkeit: Minipreneure. Chancen um das Leben neu zu gestalten. Zur Bewältigung von Langzeitarbeitslosigkeit“. Nun bin ich kein besonderer Freund von Peter Hartz, aber ich beschäftigte mich seit meines Studiums immer wieder mit Büchern zur Integrativen Therapie, vor dem Hintergrund der Unterstützung für psychisch erkrankte Menschen. Diese Ansätze erlebte ich tief und umfassend durchdacht, integrativ und humanistisch geprägt.

Sich dem Thema Langzeitarbeitslosigkeit mit dem Konzept Micropreneure anzunähern fand ich erst einmal innovativ. Erfolgreiche Ansätze sind mir aus Amerika bekannt. Auch dort ist es für psychisch erkrankte langzeitarbeitslose Menschen, und um diese geht es mir hier, schwer möglich eine Beschäftigung zu finden. Auf der Suche nach Lösungen entwickelten Menschen aus der dortigen Psychiatrieerfahrenen-Szene das Projekt „Incube“, welches aus Geldern der Reduzierung von Krankenhausbetten finanziert wurde. Incube wurde als Genossenschaft konzipiert, welche Menschen unterstützen sollte, die sich eine Kleingründung vorstellen konnten. Es ging dort um Kopierdienste, Floristik, Schreibdienste, Kuriere, Hundsitter, PC-Doc und ähnliches. Betrieben wurde die Genossenschaft von psychiatrieerfahrenen Menschen. Diese Entwickelten Beratungs- und Unterstützungsmodule für Kleingründer, von der Ideensuche, der Gestaltung, der Buchhaltung, bis hin zum Marketing einer Unternehmung.

Welchen Wert eine solch eigene, erfolgreiche Unternehmung für diese Menschen hat, braucht sicherlich keine weitere Erklärung.

Wenn man sich in Deutschland dem Thema psychischer Behinderung und Arbeit annähert, findet sich viel beackertes Land zum Thema Umschulung, berufliches Training, Integrationsbetriebe, Werkstätten für behinderte Menschen und Zuverdienst-Projekte. Zum Thema Gründung und Schwerbehinderung findet sich wenig.

Als Leuchtturm erscheint das Berliner Projekt Enterability, welches zumeist körperlich schwerbehinderte Menschen auf dem Weg in eine Selbständigkeit begleitet. Die dortigen MitarbeiterInnen sind fachlich und persönlich sehr engagiert, was ich vor längerer Zeit in einem Telefonat mit dem Projektleiter erleben durfte. Auch in diesem Projekt wird verdeutlicht, dass eine Gründung anspruchsvoll für Gründungswillige ist, aber bei entsprechender persönlicher, fachlicher Eignung und guter Unterstützung möglich ist.

Das jemand in einer akuten Phase einer psychischen Erkrankung keine Unternehmung gründet, es sei denn er leidet gerade unter einer Manie, versteht sich ebenfalls von selbst. Und wenn jemand das Glück hat, durch ein sehr gutes betriebliches Eingliederungsmanagement im Unternehmen bleiben zu können, ist es sicher auch keine Option. Aber was ist mit den Menschen die Lust und Fähigkeiten wieder entdecken, entwickeln, oder dabei unterstützt werden, aber nicht aus Hartz IV herauskommen, immer wieder mal auf Arbeitsgelegenheiten oder Projekte hoffen.

Wäre eine Art von Micro-Entrepreneurship nicht möglich, sei es auch „nur“, um seine ALG II Leistungen etwas aufzustocken?

Schauen wir uns einmal ein paar nackte Zahlen und Überlegungen dazu an:

Eine Einzelperson würde nach einem Jahr Arbeitslosigkeit vom Arbeitslosengeld, als Versicherungsleistung, in das Sozialhilfesystem Alg II „fallen“. Hier erhielte diese den „existenzsichernden“ Regelsatz von 409.- Euro monatlich, plus die angemessenen Kosten der Unterkunft.

Um nun als Einzelperson das Äquivalent der Hartz IV – Leistung, also Kosten der Unterkunft plus Regelsatz, zu erwirtschaften, benötigt es ein monatlichen Brutto-Mindestgehalt von ungefähr 1400.- Euro. Bei einem Mindestlohn von 8,50.- Euro Brutto betrüge die dazu notwendige wöchentliche Arbeitszeit 37 Stunden. Bereits darüber könnte man nachdenken…

Jemand muss dazu in der Lage sein, einen Arbeitsplatz täglich zu erreichen und dort gute sieben Stunden einer Tätigkeit nachgehen, inklusive der notwendigen sozialen Anpassungsleistung. Diese Leistung müsste man erbringen, um eigenständig das in diesem Land definierte Existenzminimum abhängig zu erwirtschaften.

Würde jemand nun erstmal hypothetisch darüber nachdenken, selbständig das Existenzminimum erwirtschaften zu wollen, benötigte es ca. 1700.- € Mindestumsatz monatlich ( ergibt sich grob aus dem Bruttolohn einer existenzsichernden Beschäftigung plus den Arbeitgeberanteilen ), um sich an der Grenze zu Hartz IV oder Sozialhilfe zu bewegen. Dazu benötigte es 56.- Euro kalendertäglich, oder 78.- Euro Umsatz täglich, von Montag bis Freitag. Letzteres ohne Einrechnung von Urlaub und Krankheitstagen. Ginge man von sechs Wochen Urlaub und drei Krankheitswochen aus, benötigte es 95.- Euro täglichen Umsatz, in der zur Verfügung stehenden Zeit ( Mo – Fr ).

Im Bezug von ALG II ist es möglich, etwas dazu zu verdienen. Ein erworbenes Einkommen wird hierbei gestaffelt gegengerechnet. Es wäre also möglich „nur“ etwas Zuverdienst zu erwirtschaften, oder sich Stück für Stück der roten Linie der Existenzsicherung durch Alg II zu anzunähern. Das Risiko bestünde darin, dass es nicht funktioniert. Aber wenn es gelänge, nur etwas für gut 100.- Euro im Monat zu verkaufen, als Produkt oder Dienstleistung, wären es 100.- Euro mehr im Monat oder 1200.- Euro im Jahr. Das alles, wie gesagt, hypothetisch…

Catharina Bruns, bekennende Entrepreneurin, veröffentlichte vor Kurzen einen Tweet auf Twitter, mit einem Artikel aus „The Wallstreet Journal“. Dort ging es um einen autistischen Mann, der mit der Unterstützung eines guten Netzwerkes, denn man muss ja nicht alleine selbständig werden,  eine eigene Gärtnerei betreibt. Frau Bruns zitiert ihn aus dem Beitrag mit seinen Worten : „I think i see myselfe doing this for the rest of my life“ …

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