Depression, Gesellschaft und innere Freiheit

Depression, Gesellschaft und innere Freiheit

An einem Sonntag einen Beitrag über Depression, Suizid und Gesellschaft zu veröffentlichen ist vielleicht etwas hart. Dazu ist ja auch noch Dreikönigstag, die Würdigung dessen, dass Caspar, Balthasar und Melchior den jungen Jesus auffinden, nachdem sie den Zeichen des Himmels gefolgt waren. Jetzt versuche ich sanft die Kurve zum Thema zu bekommen: Jesus, das Symbol für Freiheit, Liebe und Verbundenheit wird von drei Führern gesucht und gefunden, nachdem diese wohl unabhängig von einander ein Zeichen des Himmels deuteten und ihrem Herzen folgten. Es gelang ihnen also eine Verbindung zwischen Innen und Außen, der sie intrinsisch, also von innen motiviert, folgten und vertrauten. Diese Art der Verbindung scheint uns in der heutigen Zeit zu fehlen. Uns wird gesagt, wem wir zu folgen haben, was gut für uns ist, was wir erwerben müssen, damit wir uns lebendig fühlen. Uns wird dabei die Freiheit der Wahl suggeriert, ausgeklügelt mit Neuromarketing und Algorithmen, die schon wissen, was wir benötigen, bevor wir überhaupt wach sind. Wir leben offensichtlich in Freiheit, sind es aber nicht. Wir sind der Willkür von Wirtschaft, Werbung, Kapital, Schule, Staat und Arbeitgebern ausgeliefert, bevor wir nicht gelernt haben innere Freiheit und Strukturen zu entwickeln, getragen von einem inneren Warum und entwickelten Werten. Vor gut zwanzig Jahren schrieb ich meine Diplomarbeit mit dem Titel “ Flow und Depression“, in der es um die theoretische Erforschung der möglichen Zusammenhänge zwischen Flow, getragen von intrinsischer Motivation, und Depression, der Anti-These von Flow, ging.

Dabei stieß ich auf den Soziologen Emile Durkheim, der sich mit gesellschaftlicher Regellosigkeit ( Anomie ) und Suizid beschäftigte. Ich denke, dass Durkheim auch heute noch etwas zu der Zunahme von psychischen Erkrankungen, insbesondere der Depression, beitragen kann, weshalb ich ihn hier, mit einem Kapitel aus meiner Diplomarbeit zu Wort kommen lassen möchte:

Der Anomiebegriff von Emile Durkheim 

Der Soziologe Emile DURKHEIM (DURKHEIM 1897) veröffentlichte im Jahre 1897 seine Studie mit dem Titel „Le suicide“ (Der Selbstmord) in der er den Selbstmord unter soziologischen Gesichtspunkten untersuchte. In dieser Studie entwickelte er den Begriff der Anomie. Anomie bedeutet den Zustand einer gestörten Ordnung und zwar hier der gesellschaftlichen Ordnung. DURKEIM stellte anhand von Statistiken fest, daß die Selbstmordrate anstieg, wenn es in der Gesellschaft zu wirtschaftlichen Krisen kam. Aus diesem Daten hätte man schließen können, daß eine zunehmende wirtschaftliche „ Depression dazu fuhrt, daß sich die Menschen aus Gründen der Lebenserschwernis selber umbrachten. 

Bei der weiteren Untersuchung bemerkte er, daß die Selbstmordrate auch bei zunehmenden Wohlstand anstieg. In dem damals sehr armen Irland gab es zum Beispiel reltiv wenige Selbstmorde, ebenso in Spanien.. 

DURKHEIM zog daraus den Schluss : „ Jede Störung des Gleichgewichtes, sogar wenn sie einen größeren Wohlstand zur Folge hat oder eine Stärkung der allgemeinen Vitalität, treibt die Selbstmordzahlen in die Höhe.

Jedesmal wenn es im sozialen Körper tiefgreifende Umstellungen gibt, sei es infolge plötzlichen Wachstums oder nach unerwarteten Erschütterungen, gibt der Mensch der Versuchung zum Selbstmord leichter nach.“ (DURKHEIM 1897, S.279)
Die tiefergehende Frage war jedoch die nach dem „Warum“. 

Nach DURKHEIM liegt einer der möglichen Gründe, in den Bedürfnissen der Menschen. Der Mensch kann sich demnach nur wohlfühlen, wenn seine Bedürfnisse mit den zur Verfügung stehenden Mitteln in etwa in Einklang stehen. Sind die Mittel zu gering, müssen Bedürfnisse unterdrückt werden, was nur unter Schmerzen möglich sei. Im Tierreich ist das Gleichgewicht zwischen Bedürfnissen und Mittel unter normalen Verhältnissen ausgeglichen: Ist das Tier satt, kommt es zur Ruhe. Anders beim Menschen, dessen Bedürfnisse über die Forderungen des Körpers hinausgehen. Er ist in der Lage immer weitergehende Bedürfnisse zu entwickeln, die nahezu grenzenlos sind. Diese an sich grenzenlose Begierde kann nur durch eine äußere oder intemalisierte Norm begrenzt werden, was durch die Gesellschaft geschehen sollte. Treten in der Gesellschaft jedoch Krisen oder Wandlungen auf, ist diese nicht mehr vollständig in der Lage diese Funktion der Begrenzung auszuüben. Mit steigendem Wohlstand werden auch die Bedürfnisse steigen, wobei es keine Orientierung in Hinblick auf mögliche Schranken gibt. 

Des weiteren gibt es aber auch keine wirkliche Bedürfnisbefriedigung, denn ist das Eine erreicht warten hunderttausende andere Bedürfnisse. „Je mehr man sich also anstrengt, um so ; nutzloser wird die Anstrengung. Es ist kein Wunder, daß unter solchen Umständen der Wille zum Leben seine Kraft verliert“ (a.a.O., S.289). 

Ein Schutz für diesen Willens- und Kraftverlust ist für ihn die Armut, denn, was man hat gilt als Ausgangspunkt für das, was man haben möchte. 

Reichtum hingegen gibt die Illusion, daß man letztendlich doch alles erreichen kann, was man haben möchte.
Selbstauferlegte Armut oder Begrenzung, wie sie auch die meisten Religionen lehren, ist für DURKHEIM „die beste Schule, um dem Menschen die Bescheidenheit beizubringen.“ (a.a.O., S.290).
Diese Überlegungen galten bisher vor allem für Krisen- und Wandlungszeiten. Es stellte sich für ihn heraus, dass es einen Bereich in derGesellschaft gab, wo Anomie ein Dauerzustand war, nämlich der Bereich des Handels und der Industrie. Zum damaligen Zeitpunkt lies sich feststellen, das Berufsgruppen aus diesem Wirtschaftsteil relativ hohe Selbstmordraten aufwiesen. Am höchsten lagen die Raten bei den Arbeitgebern. 

Doch kann die Theorie des Wirtschaftlichen Materialismus nur das ausdrücken, was allgemeine Ansicht ist, sie ist das erhabenste Ziel des Einzelnen und der Gesellschaft geworden statt weiter lediglich als Mittel zu einem höheren Zweck betrachtet zu werden.“ (a.a.O, S.292). 

Doch führt Anomie nicht in jedem Fall zu einem Selbstmord, und nicht jeder Selbstmord ist Ausdruck von Sinnverlust. Auch gab es damals genügend Selbstmorde durch Armut und Verzweiflung.

Trotzdem lassen sich mit DURKHEIM Beziehungen zwischen Depression und der Anomie herstellen.
Es ist zu beobachten, dass „Individuen, ohne Grund zur Klage über Mensch und Dinge zu haben, es leid werden, einer Chimäre nachzujagen, welche Begierden nur weiter reizt statt sie zu befriedigen…Der Betreffende verfällt dann aus sich heraus in eine Art Melancholie… Ihn bestimmt ein mehr oder weniger ärgerlicher Überdruss am Leben.“ und er zitiert Seneca mit den Worten:
„Das Übel, das uns umtreibt., hat nichts mit dem Ort zu tun, an dem wir sind, es ist in uns selbst. Wir sind ohne Kraft, irgendetwas zu ertragen, unfähig Schmerz zu erdulden, nicht imstande unsere Freuden zu genießen, durch nichts zufriedenzustellen. Wieviele von uns rufen den Tod, da sie alles durchkostet haben und finden, dass es immer gleich schmeckt, ohne daß der Geschmack daran wiederkommt.“(a.a.O., 330). 

 

Wer mehr über „Flow und Depression“ lesen möchte findet hier den Download der Diplomarbeit. Da es keine Originaldatei mehr gibt, liegt nur diese gescannte Datei vor, leider in einer etwas schlechten Qualität, wofür ich mich entschuldige. Zu großen Teilen ist sie aber textlich durchsuchbar…

Natürlich freue ich mich auch über Kommentare, Kritik oder Anmerkungen.

Agile Methoden, Design Thinking, Service Design, Human Centered Design und nun auch noch Effectuation…

Agile Methoden, Design Thinking, Service Design, Human Centered Design und nun auch noch Effectuation…

Effectuation: Was ist das? Warum, und vor allem, wem hilft es im Themenbereich der seelischen Gesundheit?

Dr. Saras Sarasvathy ist Kognitionswissenschaftlerin. In einer empirischen Studie erforschte sie das Denken von erfolgreichen Unternehmern und Unternehmerinnen, die mindestens 15 Jahre tätig waren und mehrfach gründeten. Sie hörte diesen Menschen in Gesprächen beim Denken zu, um zu verstehen, wie diese neue Möglichkeiten und Angebote entwickelten.

Insbesondere fand sie dabei Prinzipien heraus die es ermöglichen

„eine Zukunft aktiv zu gestalten, wenn das Umfeld unsicher ist und exakte Vorhersage oder Planung nicht möglich sind.“

Dieses Zitat umschreibt aus meiner Sicht einen wesentlichen Aspekt der Arbeit im Bereich seelischer Gesundheit und Erkrankung.

Auch wenn aktuell wirtschaftlich orientierte „Methoden“ wie SMART-Ziel-Entwicklung in z.B. der Sozialpsychiatrie Einzug hielten, ist das Lebensumfeld betroffener Menschen komplex, das innere und äußere Umfeld unsicher und exakte Planungen und Vorhersagen nicht wirklich möglich. Und trotzdem bleibt die Frage, durch welche Art von Angebotsgestaltung die seelische Gesundheit und damit die Lebensqualität von Menschen verbessert werden kann.

Aus dem Forschungsergebnissen ließen sich vier Prinzipien des Zukunftshandeln herausarbeiten:

  • Leistbarer Verlust statt erwarteter Ertrag: Da es keinen gesicherten Ertrag für die Zukunft gibt, definiert man den leistbaren Verlust. Also, was investiere ich höchstens für eine Möglichkeit, ein Ziel oder einen Entwicklungsschritt. Das kann Zeit, Geld, Dinge, Menschen und weiteres beinhalten
  • Mittelorientierung statt Zielorientierung: Ich gehe von dem aus, was schon vorhanden ist. Also von Ressourcen wie Interessen, Fähigkeiten, Erfahrungen, Finanzen, Mitteln…
  • Umstände und Zufälle nutzen statt vermeiden: Einfach gesagt, einen Weg gehen und dem was kommt offen begegnen
  • Partnerschaft statt Konkurrenz: Offen für ähnliche Wege der Anderen sein und bleiben, sie mit ins Boot holen, sich austauschen und Vernetzen

„Effectuation fokussiert auf all das, was wir durch unser Handeln gestalten können, wenn die Basis für Vorhersage und Planung fehlt“

Durch dieses Zitat wird der Effectuation-Ansatz aus meiner Sicht zu einer Gestaltung- und Handlungstheorie innerhalb einer hochkomplexen und unsicheren Lebenswelt

Aus diesem Verständnis heraus befindet sich Effectuation in einer guten Gesellschaft zukunftsweisender Haltungen und Methoden für die Gestaltung von Angeboten und Zukunft in diesen Zeiten, auch im Themenbereich der seelischen Gesundheit.

Wer mehr über diesen Ansatz wissen möchte, findet reichhaltige Inspiration auf der österreichischen Website „Effectuation Forschung und Praxis“, aus der auch die Zitate entnommen sind.

Psychische Erkrankungen : Vorhandene Angebote effizient nutzen, neue Innovationen entwickeln und gestalten

Psychische Erkrankungen : Vorhandene Angebote effizient nutzen, neue Innovationen entwickeln und gestalten

Angelehnt an Hellen und Scott Nearing, zwei Pionieren aus der Zeit der amerikanischen Depression, ginge es mir darum ein gutes Leben mit Herz zu führen. Dieses ist frei, weitestgehend selbstbestimmt und wirtschaftlich unabhängig, aber dennoch in Verbundensein mit anderen.
Seelische Gesundheit ist hierzu eine grundlegende Voraussetzung.
Veröffentlichungen der Weltgesundheitsorganisation und der deutschen Krankenkassen machen jedoch deutlich, dass es immer mehr Menschen gibt, die an psychischen Krankheiten leiden, ja, dass die Wahrscheinlichkeit im Leben psychisch zu erkranken hoch ist. Damit verbunden sind verlorene Jahre an Lebensqualität und Lebensfreude, für die Betroffenen selber, aber oft genug auch für ihr soziales Umfeld. In unserer derzeitigen Leistungsgesellschaft führt dieses ebenso oft zu langen Krankheitszeiten, zu Arbeitsplatzverlusten und zu Frühberentungen.
Wie schnell gerade letzteres drohen kann, durfte ich persönlich erleben.

Gesellschaftlich kommt es zu Verlusten von Talenten und Potentialen, hohen Investitionskosten für neue MitarbeiterInnen, hohen Transferkosten. Menschen mit einer seelischen Erkrankung sind in einer längeren Krankheitsphase nur bedingt in der Lage ihre seelische Gesundheit zu managen.
An Depression Erkrankte erhalten oft keine qualitativ hochwertige Behandlung, weil ihre Depression nicht erkannt wird, oder sie mit Scham besetzt ist. Es ist immer noch “leichter“ und anerkannter einen Herzinfarkt überlebt zu haben. Dennoch gibt es gute Behandlungsformen und Unterstützung. Die eine Seite ist die medizinische Versorgung mit Psychotherapie und/oder z.B. Antidepressiva, Sport, gesünderer Ernährung.
Die andere Seite ist die betriebliche Unterstützung.
Ein gutes Unternehmen hat entweder ein gutes betriebliches Eingliederungsmanagement installiert, oder es sich eingekauft.
Ein guter Eingliederungsmanager, gute Eingliederungsmanagerin, koordiniert notwendige Hilfen und einen möglichen Wiedereinstieg in die Tätigkeit.

Für mich war meine erfahrene Unterstützerin ein Segen, gerade auch, weil ich selbst als Profi an meine Grenzen kam. Dazu kam noch eine sehr gute Wiedereingliederung bei und mit Unterstützung meines vorherigen Teamleiters und seines Teams.
Wenn man länger erkrankt ist, hat man Anspruch auf Eingliederungshilfe – ausgeführt durch Hilfen der Sozialpsychiatrie- da entweder eine Behinderung droht oder, zumeist nach einem halben Jahr, per Definition eingetreten ist. Die Kosten werden von der Gemeinschaft übernommen. Da es aber immer mehr Menschen gibt, die Anspruch auf diese Leistungen haben, wurde zuletzt, in Hamburg, die finanzielle monatliche Zuwendung für die Einrichtungen dieser Hilfeart um knapp 50 Prozent reduziert.
Das heißt konkret, dass auch hier der neoliberale Geist Einzug hält, mit Auswirkungen auf Betroffene und ihre Unterstützer.
Ein nicht unerheblicher Anteil an Menschen mit psychischer Erkrankung bezieht Arbeitslosengeld II oder gleich Sozialhilfe.
Viele finden noch Tätigkeiten im Niedriglohnbereich, in Integrationsfirmen, in Zugewinnprojekten oder in Werkstätten für behinderte Menschen.
Für viele ist es das, was sie sich noch zutrauen oder was noch möglich erscheint.
Das ist nicht per se schlecht, aber es hat nur wenig mit Inklusion, Teilhabe-Chancen und Inhalten der UN-Behindertenkonvention zu tun.
Angesichts der anstehenden revolutionären Veränderungen im Bereich von Arbeit, Gesellschaft und Umwelt, besteht der Bedarf nach individuellen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lösungen, jetzt.
Das ist wieder pathetisch, aber die Zukunft findet jetzt statt.
Das heißt es geht um die Stärkung und Entwicklung von Individuen und um die Gestaltung beziehungsweise die Entwicklung angemessener, resilienter, antifragiler Organisationsstrukturen, auch um seelische Gesundheit zu erhalten oder mit „Einschränkungen“ leben zu können.
Und es gibt bereits Ansätze um Neues zu gestalten.

Einige davon sind :
Lernende Organisationen
Community Learning
Reinventing Organisations
Pricencing – Von der Zukunft her führen
New Work
agiles Arbeiten
Human- und Service Design Thinking
Effectuation
Social Entrepreneurship
Social Franchising
Micro Entrepreneurship
Small Businesses
Lean Startup
Business Model Innovation
Open Source
DIY

Diese Ansätze sind innovativ, elastisch, stärkend, progressiv und bieten in ihrer Anwendung, insbesondere ihrem Mindset, aus meiner Sicht, Chancen für die Zukunft für seelisch beeinträchtigte Menschen und unser aller seelische Gesundheit, als Grundlage für die positive Gestaltung unserer Zukunft.
Soweit mein Versuch die Notwendigkeit seelischer Gesundheit, die Folgen seelischer Erkrankung und die Chancen für Gestaltung zu skizzieren. Vielleicht hat etwas davon Wert für Betroffene oder unterstützende HelferInnen.
Der nächste Beitrag wird sich voraussichtlich mit dem Thema „Effectuation“ beschäftigen und warum gerade dieser Ansatz eine gute Ausgangsbasis für die Gestaltung innovativer Hilfen oder TätigSeins-Bereiche bietet könnte.

Bis dahin wünsche ich allen eine gute Zeit, mit herzlichen Grüßen aus dem Norden (Wo der Winter naht…)

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